Ottilie Roederstein um 1897 im Atelier der Städelschen Kunstschule in Frankfurt am Main

Ottilie Roederstein im eigenen Atelier der Städelschen Kunstschule, um 1897

Ottilie W. Roederstein. Bildnis Elisabeth Winterhalter. Öl / Leinwand. 102 x 82cm

Bildnis Elisabeth Winterhalter

Ottilie W. Roederstein. Selbstporträt mit weißem Hut. 1904

Selbstporträt, 1904

Ottilie Roederstein. Magdalena am Fuße des Kreuzes. 1894

Magdalena am Fuße des Kreuzes

Ottilie Roederstein. Porträt eines Malers in einem Pariser Atelier. 1887. Öl / Leinwand. 86 x 49cm

Porträt eines Malers in einem Pariser Atelier

Ottilie Roederstein. Messdiener. 1893.

Messdiener

Ottilie W. Roederstein

1859 Zürich – 1937 Hofheim am Taunus

Ottilie Roederstein repräsentiert eine neue Art der Moderne. Selbstbestimmt, in einer Lebensgemeinschaft mit einer Frau lebend, wirtschaftlich unabhängig und künstlerisch erfolgreich steht sie buchstäblich für das Bild der „Neuen Frau“.
Ein freies, unabhängiges Leben in einer Männer dominierten Welt schuf sie sich als freischaffende Porträtmalerin und etablierte sich als feste Größe im männlichen Kunstbetrieb. Wobei „freischaffend“ schon eine revolutionäre Handlung für eine Frau in dieser Zeit war. 

1868 entdeckte sie das erste Mal Kunst für sich. Der Schweizer Porträtmaler Eduard Pfyffer (1836-1899) porträtierte ihre Familie. Davon so fasziniert, beschloss sie selbst den Weg der Künstlerin einzuschlagen.
1876 begann sie eine Ausbildung in Pfyffers Atelier in Zürich als Nachfolgerin von Louise Caroline Breslau (1856-1927). Währenddessen lebte sie weiterhin in ihrem Elternhaus. Mit der Hochzeit ihrer Schwester 1879, die mit ihrem Mann nach Berlin zog, konnte Roederstein ihre Ausbildungsstätte wechseln, da sie ihrer Schwester nach Berlin folgte und bei ihr wohnen konnte. Nun besuchte sie das Damenatelier von Carl Gussow (1843-1907), bei dem sie hauptsächlich in der Porträtmalerei unterrichtet wurde.
1882 erhielt sie ihre erste Ausstellung in Zürich, vermutlich in einer Kunsthandlung. Auf Grund dieses ersten Erfolges durfte sie mit ihrer Mitschülerin und Freundin Anni Hopf (1861-1918) nach Paris reisen. Dort angekommen schrieb sie sich im Damenatlier von Carolus Duran (1837-1917) und Jean-Jacques Henner (1829-1905) ein. Zusätzlich nahm sie abends Unterricht bei Luc-Olivier Merson (1846-1920), wo sie meist Aktkurse besuchte.
Im Jahr darauf stellte sie das erste Mal im Salon der Pariser Société des Artistes Francais aus, was positive Kritiken zur Folge hatte. Ebenso ihre Ausstellung in der Züricher Kunsthandlung Appenzeller und in der Züricher Kunsthalle im gleichen Jahr, brachte ihr nur Lob ein und verhalfen ihr zu einem künstlerischen Durchbruch.
1887 kehrte sie ins Züricher Elternhaus zurück, behielt jedoch ihr Pariser Atelier, sodass sie sich jährlich dort aufhalten konnte. In Zürich lernte sie die Medizinstudentin Elisabeth Winterhalter (1856-1952) kennen, mit der sie recht schnell eine, selbsternannte, Lebensgemeinschaft einging.
In den beiden Folgejahren erlebte sie weitere künstlerische Erfolge. 1888 erhielt sie eine Ehrenerwähnung im Pariser Salon und stellte bei der Dritten Internationalen Kunstausstellung aus. 1889 nahm sie an der Pariser Weltausstellung für die Schweizer Sektion teil.
Auf Grund dieser Ehrungen wurde sie 1891 zur „Associèe“ in der Société National des Beaux-Arts in Paris ernannt, was ihr ein juryfreies Ausstellungsrecht in deren Salon ermöglichte.
Im gleichen Jahr zog sie mit Winterhalter nach Frankfurt um, da dort die Kunstszene florierte. Gemeinsam etablierten sie sich in der Frankfurter Gesellschaft. Roederstein als Porträtmalerin und Winterhalter als erste niedergelassene Gynäkologin. Durch den Kontakt zum Inhaber der Kunsthandlung J.P. Schneider kam sie schnell in die künstlerischen Kreise der Stadt. Schon Ende des Jahres stellte sie im Frankfurter Kunstverein aus. Neben ihren beruflichen Erfolgen in Frankfurt engagierten sich Beide für das Frauenstudium und deren Gleichberechtigung.
Bei ihrem jährlichen Paris-Aufenthalt traf sie Ida Gerhardi (1862-1927).
1892 lernte sie Norbert Schrödl (1842-1912) und Hans Thoma (1839-1924) kennen, was ihr weitere Kontakte zur Kronberger Malerkolonie einbrachte. Eine der frühesten Malerkolonien Deutschlands, die durch Anton Burger (1824-1905) und Jakob Fürchtegott Dielmann (1809-1885) in Kronberg im Taunus 1858 gegründet wurde und für zahlreiche Frankfurter Künstler zu einer Anlaufstelle wurde.
1893 mietete sie sich ein Atelier im Städelschen Kunstinstitut, was auch ihre private Lehrtätigkeit einleutete. Außerdem ist ab dieser Zeit ein Einfluss durch ihren Kollegen Karl von Pidoll (1847-19019 in ihrem Werk erkennbar, da er sein Atelier neben ihrem betrieb.
Gemeinsam unternahmen sie 1895 eine Reise nach Florenz, wo sie den Bildhauer Adolf von Hildebrand (1847-1921) besuchten.
Eine weitere Reise folgte 1902 nach Spanien, diesmal mit ihrer Freundin und ehemaligen Schülerin Emma Kopp (1864-1941).
1909 zogen sie von Frankfurt nach Hofheim im Taunus um, dort erhielten beide Frauen 1929 die Ehrenbürgerschaft. Sie stellte zwar 1912 noch bei der Sonderbund-Ausstellung in Düsseldorf mit aus und gründete 1914 den Frauenkunstverband als Berufsvertretung der bildenden Künstlerinnen gemeinsam mit Käthe Kollwitz (1867-1945), Dora Hitz (1856-1924) und Eugenie Kauffmann (1867-1924), dennoch ließ ihre künstlerische Tätigkeit ab diesem Zeitpunkt langsam nach. Sie beteiligte sich noch an einigen Ausstellungen und erhielt Porträtaufträge, dennoch nicht in der Häufigkeit der Jahre zuvor.
Nach ihrem Tod gerieten ihre Werke in Vergessenheit, erleben aber, besonders in den letzten Jahren, eine Wiederentdeckung und eine Aufarbeitung zugunsten der Aufnahme in den Kanon der Moderne. 

In ihrer Kunst war sie ebenso vielfältig wie in ihrer restlichen Lebenseinstellung. Sich hauptsächlich der Porträtmalerei widmend, die ihre Haupteinnahmequelle darstellte, probierte sie sich auch in anderen Genres aus. Mythische und religiöse Themen versuchte sie ebenfalls in ihren Bildern unterzubringen. Jedoch sind davon kaum Darstellungen erhalten.
In ihrem Stil blieb sie der Tradition ihrer Zeit verhaftet und schuf vor allem in den 1890er Jahren Ei-Tempera-Malereien. In ihrer Darstellungsweise orientierte sie sich vornehmlich an Werken der Renaissance.
In ihren Porträts schuf sie neben Auftragsarbeiten zahlreiche Selbstdarstellungen, in den sie jedesmal ein Statement zu ihrer eigenen Person setzte. Oft mit Kopfbedeckung und nicht dem weiblichen Ideal des 19. Jahrhunderts entsprechender Kleidung, häufig Männerkleidung, stellte sie sich als starke Persönlichkeit dar. 

Revolutionär und „neu“ war damit nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Art der Selbstwahrnehmung und -darstellung.