Ludwig Schwarzer
1912 Wien – 1989 Linz
Metamorphose
Öl /Platte 118 x 94 cm
signiert und datiert (1975)
Verkauft
Die Malerei Ludwig Schwarzers markiert eine eigene, höchst originelle Position in der Kunst der österreichischen Moderne. Sie lässt sich am besten der Wiener Variante des Phantastischen Realismus an die Seite stellen, für die der wesentlich bekanntere Maler Rudolf Hausner steht, und weist dabei eindeutig surrealistischen Tendenzen auf. Schwarzer wurde in Wien geboren, wo er 1930 bis 1934 an der Kunstakademie studierte. 1940 ließ er sich dauerhaft in Linz nieder. Seine akademischen Lehrer waren Karl Sterrer, ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit, und der in der Tradition des Spätimpressionismus stehende Josef Jungwirth. In diesen Bahnen bewegte sich auch Schwarzer in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens, bevor er in den 1960er Jahren mehr und mehr in eine surrealistische Bildwelt eintrat. Dabei kamen ihm die altmeisterlich-akademische Maltechnik und der malerische Verismus, die er durch seine Herkunft von der Neuen Sachlichkeit beherrschte, gut zupass. Neu waren die Bildmotive, die er der realen Welt entnahm und in eigenen, phantastischen und surrealistischen Bildwelten neu zusammensetzte.
Schwarzers Werk durchzieht ein merkwürdig unbelebtes Figurenbild, das heiter und fremdartig zugleich erscheint. Meistens sind es Frauen, die mit puppenhaft starrem, leerem Blick wie verloren im Bild stehen. Mit angesetzten Armen und aufgesetzten Köpfen geben sie sich häufig als Schaufenster- und Gliederpuppen zu erkennen, oder sie wachsen aus einem anderen Gebilde heraus oder erscheinen gleich ganz als Büste. Ludwig Schwarzer setzt die menschliche Figur mit der Dingwelt in Beziehung, ja er gleicht sie ihr an. In seinem Oeuvre lassen sich verschiedene Themenschwerpunkte erkennen. Dazu gehören die Puppe, Familie, Technik, Vogelmenschen und Schausteller. In der Gruppe „Propheten“ begegnen dem Betrachter Holzbüsten. Sie gehen auf einen Haubenstock (Holzkopf zur Ablage einer Perücke) im Atelier des Künstlers zurück. Ikonografisch standen ihm für seine „Propheten“ Porträts des Renaissancemalers Piero della Francesca vor Augen (Porträt des Herzogs von Urbino, z. B.), in denen ihm der emotionslos-eingefrorene Ausdruck auffiel.
Zwischen 1967 und 1980 widmete Schwarzer sich mythologischen Themen, wobei die Sphinx im Mittelpunkt stand. Nebenstehendes Werk aus dem Jahr 1975 entstammt einer kleinen Serie von drei Sphinx-Bildern gleichen, großen Formats (zwei weitere abgebildet in: Der Spiegelfisch, Abb. 80 und 81.). Sphingen sind Steinfiguren aus dem alten Ägypten, die aus menschlichem Oberkörper und dem Hinterleib eines Löwen oder eines anderen Tieres bestehen. Sie dienten meist als Wächterfiguren. Die Griechen übernahmen sie später in ihre Bildwelt. Bei ihnen wurde sie grundsätzlich zur Frauengestalt umgeformt und erhielt Flügel. Schwarzers Darstellung bezieht sich demnach auf die griechische Variante der Sphinx. Auf einem Steinsockel sitzt die geflügelte Sphinx auf allen Vieren, Beine, Hinterteil und Schwanz stammen vom Löwen, der Oberkörper zeigt das Brustbildnis eines Frauenaktes. Den Hintergrund bildet ein Meereshorizont und ein rötlicher Himmel. Der Kopf der Frau folgt dem Frauentypus, den Schwarzer in den 60er und 70er Jahren für verschiedene Kompositionen verwendete. Pagenfrisur, große, eng beieinanderstehende Augen, schmale Nase und enger Kussmund sind dem Idealbild der schönen Frau um 1900 entlehnt. Den gleichen Kopf betitelte Schwarzer selbst in einem anderen Gemälde von 1976 als „Pin-up“ (in: Der Spiegelfisch, Abb. 55), ebenso finden wir für denselben Frauentypus die Betitelungen „Saskia“, „Kolumbine“ und „Bajadere“ (indische Tempeltänzerin).
In unserem Bild bekräftigen stark geschminkte Augen, Lippenstift und Perlenschmuck den Eindruck der verführerischen und gar verhängnisvollen Frau – es ist die „Femme fatale“, die um 1900 in der Kunst des Symbolismus so oft begegnet. Die beiden anderen Sphinx-Bilder der Serie, aus der unser Bild stammt, sind betitelt als „Sphinx“, datiert 1969, und „Sphinx II“, datiert 1978. Nebenstehendes sehr ähnliches Bild nun stammt aus dem Jahr 1975, nimmt also zeitlich die Mittelstellung ein und ist nicht ausdrücklich Sphinx sondern „Metamorphose“ betitelt. Eine weitere kleine Sphinx aus dem Jahr 1967 trägt den Titel „Abseits der Reiseroute“. Schwarzer arbeitet gern mit assoziativen Titeln, die ein Deutungsangebot an den Betrachter beinhalten, aber nicht deterministisch gemeint sind.
Das Bild beruht auf einem doppelten Gegensatzkontrast. Einmal liegt der Kontrast zwischen Tierform und menschlicher Form vor, der dem mythischen Vorbild und damit der tradierten Ikonografie folgt. Ein weiterer Gegensatz ergibt sich jedoch aus dem Umstand, dass die Tierformen aus Stein und damit künstlich unbelebt sind, während der menschliche Teil in lebensfrischer, idealisierter Schönheit und Grazie erscheint. Schwarzer steigert die der Sphinx sowieso innewohnende Gegensätzlichkeit somit noch durch verschiedene Arten medialer Präsenz und geht damit über das mythischen Vorbild hinaus, welches ja stets als insgesamt lebensfähiges, wenngleich imaginiertes Lebewesen gedacht war. Und so kommen wir zur Metamorphose. Metamorphose heißt Verwandlung in eine andere Gestalt. Der Stein weist im Bild an der Oberfläche starke Verwitterungsspuren auf. An den Vorderläufen ist zu sehen, wie die makellose Haut der Frau aus dem verwitterten Stein hervorgeht. Hier ist ein Prozeß nahegelegt, der zwei mögliche Szenarien zuläßt: entweder wächst die schöne Frau aus dem bröckeligen Stein heraus, wird quasi aus ihm geboren, das wäre die hoffnungsvolle Variante der Metamorphose. Oder der Stein bemächtigt sich nach und nach der Frau, die irgendwann ganz versteinert und leblos dastehen wird, das wäre die pessimistische Variante. Die Verwischung der Grenze zwischen menschlichem Dasein und dinglicher Welt gehört zum ästhetischen Programm des Künstlers sowie das Spiel mit Realitätsebenen und Uneindeutigkeit Kernthema der surrealistischen Kunst insgesamt ist.
Literatur:
Michaela Nagl und Peter Kraft (Hgg.), Ludwig Schwarzer, Der Spiegelfisch. Eine Retrospektive, Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Museum der Stadt Linz 2004