Winnaretta Singer

1865 Yonkers, New York – 1943 London

Etude d’Interieur

Öl / Leinwand      42 x 56 cm

Signiert und datiert.      1896
Rückseitig betitelt

Die Künstlerin und Musikmäzenin Winnaretta Singer war eines von 24 Kindern des Großindustriellen Isaac Merritt Singer (1811-1875), der sein Vermögen durch die Weiterentwicklung von Nähmaschinen gemacht hatte, und der Pariser Hoteliers Tochter Isabella Eugenie Boyer (1841-1904), die Modell für die Freiheitsstatue gestanden haben soll.
Kurz nach ihrer Geburt zog die Familie nach Paris um. 1870 siedelten sie wieder nach England über. Nach dem Tod des Vaters zog die Mutter mit ihren Kindern zurück nach Paris und eröffnete dort einen künstlerischen Salon. Winnaretta Singer erhielt früh, auch auf Empfehlung ihres Paten Edward Harrison May (1824-1887), Klavier- und Orgelunterricht und bei Louis-Ernest Barrias (1841-1905) eine Ausbildung zur Bildenden Künstlerin, der zwanzig Jahre zuvor auch Lehrer von Edgar Degas (1834-1917) gewesen war. Degas lernte Singer über eine Klassenkameradin, Madeleine Fleury, bei einer ihrer Portraitsitzungen bei diesem persönlich kennen.
In ihrer Paris Zeit lernte sie die Werke von Claude Monet (1840-1926), Alfred Sisley (1839-1899), Eugène Boudin (1824-1898) und Édouard Manet (1832-1883) kennen  und lieben. Ein Werk Manets sollte auch den Anfang ihrer privaten Kunstsammlung bilden, mit der sie 1889 begann. Nach ihrem Tod ging diese Sammlung 1944 in das Vermächtnis des Louvres in Paris über.
Eine weitere Bekanntschaft aus dieser Zeit war der Künstler Jean-Louis Forain (1852-1931). Singer durfte ihn bei seinen Restaurierungsarbeiten im Louvre begleiten und wurde auf sein Anraten vom Museum angestellt um dort die Museumskataloge ins Englische zu übersetzen.
1885 konnte sie einen ihrer ersten malerischen Erfolge erzielen. Ihr Gemälde „Les Graves  à Villerville“ wurde in den Salon de Beaux-Arts aufgenommen.
1887 heiratete sie Prince Louis de Scey-Montbéliard, um dem Haus ihrer Mutter und ihrem Stiefvater Victor Reubsaet (1843-1887) zu entkommen, mit dem sie sich zerstritten hatte. Schon nach 21 Monaten erfolgt 1889 eine einvernehmliche Scheidung, da Singer schon vor der Hochzeit gemerkt hatte, dass sie lesbisch war.
Im gleichen Jahr ihrer Scheidung wurde ein weiteres ihrer Werke in den Salon de Beaux-Arts in Paris aufgenommen.
Mit Hilfe der ehelichen Verbindung zu Scey-Montbéliard wurde sie in die aristokratischen Kreise von Paris eingeführt. Sie besuchten zahlreiche Matineen und Soireen. Bei einer dieser Veranstaltung lernte sie Marguerite „Meg“ Baugniès (1850-1930) kennen, Frau des Malers Eugène Baugniès (1842-1891). Sie sollte ihre wichtigste Mentorin werden. Durch ihre Verbindungen lernte sie zahlreiche Künstler kennen, unter anderem Anfang der 1890er Jahre den Maler Paul Helleu (1859-1927).
Mit 28 Jahren heiratete sie den 30 Jahre älteren Prince Edmond de Polignac (1834-1901) auf Vermittlung von Freunden. Mit ihrer „Lavendel-Ehe“ waren beide nur in ihrer Verbindung durch Liebe zur Kunst und Musik verbunden. Zahlreiche Frauen zählten zu ihren Musen, unter anderem Olga de Meyer (1871-1930), die auch Modell stand für Giovanni Boldini (1842-1931) und Helleu. Diesen beauftragte Singer in diesem Zusammenhang mit der Anfertigung einer Mappe mit Portraits ihrer Liebschaften. Nachdem die Kosten ihren Rahmen sprengten und sie zu einem der begehrtesten Klatschthemen wurde, sagte sie den Auftrag wieder ab.
Ab 1923 führte sie bis zu ihrem Lebensende eine Beziehung mit der Schriftstellerin Violet Trefusis (1894-1972).
Gemeinsam gründeten sie den einflussreichen Pariser „Salon de Polignac“, in dem alles verkehrte was Rang und Namen hatte, unter anderem Marcel Proust (1871-1922), Jean Cocteau (1889-1963), Francois Mauriac (1885-1970), Pablo Picasso (1881-1973) und Coco Chanel (1883-1971), und unterstützten neben musikalischen Projekten von Musikern, wie Igor Strawinsky (1882-1971), Erik Saties (1866-1925) oder Kurt Weill (1900-1950), auch naturwissenschaftliche Projekte, unter anderem das Laboratorium der Marie Curie (1867-1934).
Aber auch ihr eigenes malerisches Talent wurde nach einer Ausstellung 1895 auch von der Öffentlichkeit entdeckt. Zeitungsberichte und vereinzelte Ausstellungen folgten.
1896 übernahm Singer nach dem Tod ihrer Schwester die Erziehung von deren Kindern, von denen ihre Tochter Daisy Fellowes (1890-1962) zu einer der wichtigsten Gesellschaftsgrößen des 20. Jahrhunderts wurde.

In ihrem Werk „Etude d’Interieur“ wird ihr künstlerisches Können deutlich. Als Selbstbildnis angelegt erhält man Einblick in ihre Einrichtung. Impressionistisch angehaucht verschmilzt sie förmlich mit dem Interieur. Sie erschafft eine Harmonie und Einstimmigkeit. Trotz ihrer gesellschaftlichen Stellung, die sie von Geburt an innehatte, scheint ihr künstlerisches Talent davon abgehoben und frei zu sein.
Auch werden in diesem Werk Ähnlichkeiten zu Arbeiten Giovanni Boldinis (1842-1931) deutlich, mit dem sie eine Freundschaft führte und in dem sie gleichzeitig ein künstlerisches Vorbild sah. Aus einer bekannten Malerfamilie stammend, studierte er nach frühem Zeichenunterricht bei seinem Vater an der Florentiner Akademie von 1862-68. In nervösem, skizzenhaften und sprühendem Stil widmete er sich vor allem dem Impressionismus und der damit verbundenen Freilichtmalerei. Nach einem langen Aufenthalt in London, siedelte er 1872 nach Paris über, wo er sich in den 1880er Jahren mit seinem unverkennbaren Stil als erfolgreicher Portraitist der Oberschicht etablierte.